Lieben: das wichtigste Gebot Gottes

 

„Du sollst den Herrn deinen Gott lieben aus deinem ganzen Herzen, aus deiner ganzen Seele und aus deinem ganzen Gemüte“, spricht der Herr, „dies ist das größte und erste Gebot. Das andere aber ist diesem gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (Mt. 22, 37-39).

Das Gebot der Nächstenliebe also stellt der Herr neben das höchste Gebot, neben das der Liebe Gottes. Das Gebot der Nächstenliebe legt er uns unzählige Male auf das Nachdrücklichste ans Herz, denn sein Herz ist ungemein zart in der Liebe. Und er bedingt seine Jüngerschaft durch die Erfüllung dieses Gebotes: Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr euch lieb habt untereinander (Joh. 13,35).“

Clara Fey, Betrachtung 22. Juli 1849

„… Der Herr hat in der Abschiedsrede seinen Jünger aufgetragen: „Dies ist mein Gebot, dass ihr einander liebet, wie ich euch geliebt habe.“ Für alle Menschen schon ist das Gebot gegeben: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Gott bezeichnet uns den Nächsten als denjenigen, der an seiner Statt die Liebe und die Liebeserweise in Empfang nehmen soll, die wir ihm nicht unmittelbar und persönlich entrichten können.

Nun gibt er aber, wie der hl. Franz von Sales sagt, auch ein Gebot für die vom Herrn Bevorzugten, für die zu einem vollkommenen Leben Berufenen, und dieses lautet: „Ihr sollt einander lieben, wie ich euch geliebt habe.“ „Das heißt mehr“, fährt der Heilige fort, „als den Nächsten lieben wie sich selbst; es heißt ihn mehr, viel mehr lieben als sich selbst.“ Hat der Herr nicht um unsertwillen auf seine Ehre verzichtet, weil wir ihm lieber waren? Hat er nicht, weil er uns mehr liebte als sein Leben, den Tod für uns gelitten?  (…)

Das also ist die Art der Liebe zum Nächsten, die der Herr von uns verlangt, die wir in seine vollkommene Jüngerschaft eintreten wollen. Wir sollen den Nächsten mehr lieben als uns selbst, sollen den eigenen Vorteil dem des Nächsten unterordnen, sollen dem Nächsten Unangenehmes und Bitteres ersparen, was wir uns selbst nicht ersparen können oder nicht ersparen wollen. „Für den Nächsten“, sagt der hl. Franz von Sales, „sollen wir bereit sein, alles zu tun bis zu einer Grenze hin: eine Sünde dürfen wir dem Nächsten zulieb nicht begehen.“ (…)

Doch nehmen wir die Sache praktisch. Wir stehen nicht auf der Stufe dieser Heiligen. Wie sollen wir unserem Heiland, der uns so bevorzugt hat, unsere Liebe beweisen? Die Antwort muss lauten: „Wir sollen in unserem Berufe Liebe üben nach dem Beispiele des Herrn.“ Wir sollen einander so lieben, wie der Herr uns geliebt hat. Wenn im gewöhnlichen Leben keine Anlässe zu heldenmütiger Liebe sich bieten, so bringt doch jeder Tag, ja jede Stunde Gelegenheit, einer Schwester Liebe zu erweisen. Halten wir das eine fest: wenn wir, die der Herr zusammengeführt, einander nicht wahrhaft und tatkräftig lieben, so ist die Liebe, die wir den Armen, den Kindern oder Leuten in der Welt erweisen, nicht echt. Denn wenn wir alle Menschen lieben sollen wie uns selbst und mehr als uns selbst, dann schulden wir diese Liebe zunächst jenen, mit denen der Herr uns so innig verbunden. Daran werden wir also erkennen, ob wir die vom Herrn geforderte Nächstenliebe besitzen oder wenigstens anstreben, wenn wir einander helfen, einander ertragen, wenn wir auch voneinander zu leiden wissen, ohne die Liebe zu verlieren. Das Taubenauge, das der Herr an seiner vollkommenen Braut im Hohenliede rühmt, müsste unser Anteil sein. Wir müssten die Person und das Tun und Lassen unserer Schwestern nur mit gütigem und mildem Blick betrachten. (…) Clara Fey, Meditation vom 31. Januar 1871

 „Fragen wir uns nun zuerst: wie weit muss unsere Nächstenliebe sich erstrecken?

Da lautet die einfache Antwort: auf alle Menschen, auf alle und auf jeden!

Darf ich dann keinen von meiner Liebe ausschließen?

Nein, keinen einzigen.

Muss ich auch den Sünder lieben? Gar den größten Sünder?

Ja, die Sünde muss ich hassen, aber den Sünder muss ich lieben, muss Mitleid mit ihm tragen, muss leiden, büßen und beten für ihn. Christus ist für uns gestorben, da wir noch Sünder waren. Und wer weiß, ob derjenige, den wir für einen großen Sünder halten, nicht in dem Augenblick schon gerechtfertigt ist; jedenfalls kann er noch ein Gerechter, ein Bürger des Himmels werden. Der gute Schächer hing als ein Verbrecher am Kreuz und jetzt beugen wir das Haupt vor ihm und verehren ihn als einen Heiligen. Also alle ohne Ausnahme sollen wir lieben als solche, die der Heiland so sehr geliebt, dass Er Blut und Le­ben hingegeben, um sie zu erkaufen.

Noch mehr wird von uns verlangt: Wir sollen auch jene lieben, die uns feindselig gesinnt sind, die sich als un­sere persönlichen Beleidiger und Feinde beweisen, die uns kränken, verletzen, schmähen und verleumden.

Der Heiland sagt: Wenn wir nur die liebten, welche uns liebten, so täten wir nicht mehr als die Heiden. „Ich aber sage euch“, spricht Er, “liebet eure Feinde, tut Gutes denen, die euch hassen und betet für die, so euch verfolgen und lästern!“ Das ist wahre, christliche Liebe, wie unser Herr und Heiland sie durch Wort und Beispiel uns gelehrt hat und worin alle Heiligen in seiner Nachfolge las glänzende Vorbilder uns vorleuchten. Das Hauptbedingnis zur Heiligkeit ist die allumfassende, unerschütterliche, duldsame Nächsten– und Feindesliebe, und da ließen sich unzählige Beispiele anführen. (…)

  • Prüfen wir uns denn, ob wir wahrhaft lieben, ob wir kei­nen von unserer Liebe ausschließen.
  • Fragen wir uns, ob nicht irgendeine Spur Bitterkeit, Kälte oder Abneigung gegen je­mand in unserm Herzen ist.
  • Erforschen wir uns besonders über unsere Umgebung, über unsem täglichen Verkehr. …
  • Fragen wir uns,

… ob wir allen mit aufrichtiger Liebe zugetan sind,

… ob wir duldsam und sanft sind,

… ob wir einander ertragen,

… ob wir bei Beleidigungen nicht die mindeste Abneigung und Bitterkeit in unserm Her­zen aufkommen lassen.

 

  • Fragen wir uns,

… ob wir alle gleichmäßig lieben, seien sie nun dem Ansehen nach liebenswürdig oder nicht,

… ob wir keine vorziehen, keine zurücksetzen.

Wir sehen, die Nächstenliebe verlangt vieles und Großes von uns. Wo werden wir diese allseitige, großmütige, dulden­de, unüberwindliche Liebe schöpfen? Nirgends anders als im heiligen Herzen Jesu, diesem Glutofen der Liebe!

Clara Fey, Konferenz 28. Februar 1864

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